Krokodilstränen bei Nacht

Sie stand vor mir und seufzte tief. Ihre glänzenden Augen gaben mir nicht das Gefühl, einen trockenen Abend verbringen zu wollen. Nach repetierendem, bedeutsamen Luftholens offenbarte sie mir ihr Herz und fügte zu Ende ihres Monologs noch an, dass dieses Geständnis auch nüchtern zum Scheitern verurteilt wäre. Übermannt von soviel Offenheit zerlegte ich meine Stirn in tiefe Falten und liess meinen Blick relativ tief in ihr Decolté fallen. Vier Sekunden später, die uns beiden wie zwei einsame, zermürbende Jahre auf einer unerforschten Insel mit allerlei Insekten und widerlichen Reptilien vorkam, schob sich ihre Hand ganz unauffällig unter die meine. Bewegender Augenblick. Die Erde schien still zu stehen. Sie erhob ihren gesenkten Blick vom nassen Kopfsteinpflaster und erhellte meine dunklen Augenringe im Antlitz des Mondlichtes, um den verheissungsvollen Blick abzuwenden und in den Strassengraben zu erbrechen. Während ihre goldigen Engelshaare noch immer an der selben Stelle wie vorhin verharrten, ertönte ein weinerliches Schluchzen aus ihrem frisch parfümierten Mund.
Die glänzenden Augen von vorhin wichen einem Wasserfall der Tränen. Sie liess meine erstarrte Hand los und setzte sich auf den Trottoirrand, ohne ihn auf lästige Kaugummis zu untersuchen. So setzte ich mich neben sie und trank noch den letzten Schluck Bier aus der Flasche, die einmal ihr gegolten hatte. Die Tränen kullerten wie Krokodilsperlen ihre roten Wangen hinunter und flossen in einem Bach die Strasse hinab. So sassen wir noch die ganze Nacht und erfreuten uns an der Stille, die uns nach einem langen Abend umgab.
Ich habe sie danach nie wieder gesehen. Doch eines habe ich verstanden und werde es mir für alle Zeiten beherzigen. Ob dir eine fremde Person ihr Herz ausschüttet oder kurz davor durch Brechreiz daran gehindert wird spielt keine Rolle; es ist die Absicht die zählt.

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