Der Witz sich selber nicht lustig zu finden – warum Talent eine Erfindung ist Teil 2

Der Abend gestaltete sich unfreiwillig. Nach einem niederschmetternden Tag im Büro bestieg ich das Tram und fuhr zum ehemaligen Staatsgefängnis, welches seit gut zwei Jahrzehnten zu einem Kongress- und Seminarzentrum (welches neu gebaute Gebäude heisst heute nicht so?) umfunktioniert wurde. Im dritten Stock knarrte der splittrige Holzboden mit mir den langen Flur entlang und verhallte mit einem letzten, explosivartigem Knacksen vor dem Zimmer 45e.

Ein weisser Zettel trug die Aufschrift „Spassseminar – lernen Sie Humor gewandt anzuwenden“. Dies versprachen drei grauenhafte Stunden zu werden. Sollte ich nicht lieber umkehren? Kein Hobby zu haben ist immer noch besser als so tun zu müssen. Mein Geisteswitz erstrahlte nicht gerade in hellem Glanz, da öffnete sich die Türe und ein Brillenträger mit breitem Lachen reichte mir die Hand zur Begrüssung. Eine Türe weiter war der Klub der anonymen Alkoholiker; die schienen mehr Spass zu haben als die Truppe die sich vor mir im Kreis aufreihte. Vereine die Mitgliederversammlung der Schusswaffenlobby und die Partei für artgerechte Haltung alleinstehender Junggesellen über vierzig und man bekommt ein ungefähres Bild dieser Gruppe, welcher ich nun angehörte. Ich fühlte den Drang etwas hochprozentiges in mich hineinzugiessen. Wir stellten uns alle kurz vor und wurden dann vom Seminarleiter gebeten, in die Mitte zu stehen und einen Witz zu erzählen. Meiner ging so: „Was sind acht Menschen in einem nach alten Stofffetzen riechenden Raum, die im Kreis zusammensitzen und darüber unterrichtet werden, was nun witzig sei?“ Einer streckte sofort seine Hand in die Höhe und realisierte nicht, dass es sich bei meinem Witz um eine rein rhetorische Angelegenheit handelte. Ich erteilte ihm das Wort. „Einer zuviel, da einer in der Kreismitte steht und deshalb nur sieben im Kreis sitzen“.
Allgemein anerkennendes schmunzeln machte die Runde. „Nein, es ist deprimierend. Wirklich aus tiefstem Herzen, unwiderlegbar deprimierend“. Ich ahnte, dass sie eher die erste Variante bevorzugten. So setzte ich mich wieder auf meinen Stuhl und fügte mich dem Schicksal. Auf pantomimische Darstellungen von Tieren folgten Rollenspiele und eine kurze Lektion über Timing und Wortfluss. Ich erwartete als nächstes ein Hüpfspiel mit verbundenen Augen, da öffnete sich die Tür und eine magere, alte Frau betrat die Szenerie (ja, es soll auch nach einem Theaterstück klingen) und setzte sich wortlos auf den von Anfang an zufällig leer stehenden Stuhl. Es war totenstill. Auf einmal fing die Frau an sich zu winden und zu gähnen. Sie streckte alle Viere von sich und rieb sich theatralisch bildhaft die Augen. „Sie gibt wohl vor gerade aufzuwachen“ flüsterte mir mein Nachbar zu. „Das sehe ich. Hoffentlich schläft sie bald wieder ein“, entgegnete ich ihm mit geringer Hoffnung. Sie   schlug auf den imaginären Wecker und schüttelte sich noch einige Male. Dann stand sie auf, zog ihre unsichtbare Hose und ihr nicht vorhandenes Hemd an und schloss die frei erfundene Türe hinter sich zu. Dabei machte sie phantasievolle Grimassen zur bedingungslosen Begeisterung der sieben Schmeissfliegen bei mir im Kreis. Diese Art von Humor nannte man „nonverbale Situationskomik“. Ich nutzte die Gelegenheit, stand auf und folgte ihr durch die unsichtbare Türe, jedoch ohne sie zu öffnen, und eilte im horrenden Tempo zum physisch tatsächlich existierenden Ausgang und verschwand unauffindbar in der Nacht.
Auf dem Weg nach Hause dachte ich über das Leben im Allgemeinen nach. Humorvoll ist es bestimmt nicht. Aber sicherlich nicht so grauenvoll wie dieser Abend. Kurz vor meinem Hauseingang stand ein Pantomime, der gerade ein Lasso um ein geparktes Auto warf. Ich steckte ihm zehn Franken in seinen Hut; er hatte es bestimmt nötig!

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