Rendezvous bei Kerzenwachs

Sie sass mir gegenüber, wie sich das für einen Zweiertisch im Restaurant so gehört. Der italienisch angehauchte Kellner brachte die Speisekarte und drehte auf dem Absatz nach links, obwohl rechts der ungeduldige Gast förmlich nach Reklamation roch. Ich blickte ihr in die Augen und dann in die Speisekarte; dies schien mir ein sicheres Versteck für die langatmige Stille zu sein. Sie erwiderte den Blick freundlich und hob die Weinkarte auf, die weiss Gott warum auf dem Boden lag. „Bitte nichts teures“, dachte ich mir noch, als ihr linker Zeigefinger die Liste herunterfuhr und bei einem Franzosen hängenblieb, den ich bis heute nicht aussprechen kann. Sie kenne sich einigermassen gut aus mit Weinen, fügte sie als Entscheidungsgrund nach. Ich strich die Vorspeise und bestellte mir Pasta und hoffte auf das gratis Olivenbrot im Körbchen als Zwischenverpflegung. Ich kramte mein Feuerzeug aus der Tasche, als sie anfing über die Unmöglichkeit der Raucherei zu lamentieren. Bescheiden entflammte ich das Gas, liess die Zigarette unbemerkt in der Hosentasche verschwinden, und zündete die weisse Kerze an, die unbedacht auf dem Tisch stand. Sie nahm es zur Kenntnis und fragte mich über meine Vorlieben bei Filmen aus. Aus den Fehlern der vergangenen Jahren gelernt, listete ich ihr meine vorher säuberlich ausgedachte Liste von cineastischen Kunstwerken auf. Die erste Gemeinsamkeit entstand – sie mochte diese Filme auch. Der Wein wurde serviert. Sie stiess auf den Weltfrieden. Ich beliess es bei einem Kopfnicken und suchte verzweifelt eine Möglichkeit, noch eine Zigarette vor dem Essen zu rauchen. „Verrückte Idee“, sprach ich zu ihr. „Lass uns gemeinsam mit dem Rauchen beginnen, um dann sofort wieder aufzuhören?“. Vorschlag abgelehnt und Minuspunkte eingeheimst. Ich dachte an all die wunderschönen Momente in meiner Phantasie, da zwei Menschen bei Kerzenlicht zusammensitzen und sich schrittweise kennenlernen. Zur Zeit verspürte ich weder den Drang schrittweise mein Gegenüber kennenzulernen, noch hatte ich eine Ahnung davon, warum sie ständig ernste Themen anschnitt. Die Unterdrückung von Minderheiten ist schlimm, da stimme ich mit ein. Als ich ihr statistisch nachweisen wollte, dass Raucher eine Minderheit in der Gesellschaft bilden, hing ihr Haussegen allmählich schief. Das Essen kam.

Ein verlegener Blick in ihren Ausschnitt verriet mir nicht sehr viel mehr über ihr seelisches Innenleben. Tragisch war diese Erkenntnis jedoch nicht. Sie wischte sich nach jedem Bissen die Mundwinkel ab und liess den Kellner dreimal herbeieilen, um sich Fragen über die Zubereitungsweise und Herkunft der ihr dargebotenen Speisen beantworten zu lassen. Ob ich denn nicht auch wissen wolle, woher meine Fleischbällchen in der Spaghettisauce herkommen. „Aus der Küche nehme ich an“. Humor ist zweierlei. So kroch der Docht der Kerze weiter nach unten und die Dessertkarte begab sich in Position. Ich war bereit jegliche Art von Schnaps zu mir zu nehmen, doch Alkohol sei die Unterdrückung der freien Seele. Es schien mir vieles unterdrückt zu sein an diesem Abend. Das Sorbet schwimmt eben nicht so leichtfüssig in Holundersirup wie in Wodka, aber dies ist Ansichtssache. Es kam wie es kommen musste. Unter dem Deckmantel eines schwarzen, ledernen Umschlags lag die Auflistung des derzeitigen Mageninhalts samt Kostenvoranschlag. Drei Anstandssekunden gewartet, griff ich zu meinem Portemonnaie und legte Note für Note hinein. Der Kellner fischte den Umschlag mit dem Geldbetrag ohne Scham vom Tisch und ritt nie mehr gesehen in den Sonnenuntergang davon. Sie bedankte sich artig für den schönen Abend und bat mich, sie mit einem Spaziergang zu ihrer Tür zu begleiten. Auf Worte folgen Taten und da schritten wir auch schon schlendernd um die Häuserecken, ohne aktiv am Strassenleben teilzunehmen. Vor der Haustüre schwärmte sie von meiner leichten Art und bat mich, sie bald anzurufen, damit wir dies wiederholen könnten. Ich danke dem Leben für Konjunktive. Sie drehte sich noch einmal zu mir um, lächelte und schloss die Türe.

Als ich ebenfalls nach Hause lief und an meiner wohlverdienten Zigarette zog, sinnierte ich über Anstand und die beste Art, jemanden nicht anzurufen. Die Antwort ergibt sich hierbei zum Glück leicht; fast so leicht wie die Erkenntnis, dass Zweisamkeit und Kerzenwachs vergänglich ist!

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