Organisierte Spontaneität

Der Saal füllte sich langsam mit Gesichtern aus Politik, Wirtschaft und anderen Wichtigkeiten. Ich hielt mich krampfhaft an einem Glas Champagner und studierte die verschiedenen Krawattenmuster. Gewagtes war bis auf eine Ausnahme nicht auszumachen, diese hatte dafür das Prädikat „waghalsig“ verdient. Knallgelb mit pinken Quadraten, wobei der Grauton im Hintergrund die ganze Sache zu normalisieren versuchte. Normal, dieser Begriff schien an diesem Abend, an diesem Bankett durchaus angebracht. Kontakte wurden geknüpft, Lästereien ausgetauscht, Smalltalk geschmeidig in die Runde geworfen, herzhaftes Gelächter inszeniert. Es fehlte nur ein bisschen an Menschlichkeit, obwohl doch nur solche zugegen waren. War ich nicht derjenige, der ohne Krawatte für optischen Krawall sorgen wollte? Meine Turnschuhe galten als faszinierend Ordinär und zugleich rebellisch kreativ. Provokationen waren hier wohl nicht auf optischem Spielfeld zu holen.

Da erblickte ich eine noch gelangweiltere Seele unter dem Türrahmen, der als Übergang in das Foyer gedacht war, vielmehr aber als Rückenhalter für ermüdete Managerrückräder diente. Ich schwebte förmlich durch ein Meer von Chanel und etwas billigerem Aftershave, bis ich temporär benebelt auf dieses Wesen aus Fleisch und Silikon auflief. Ihr Handrücken erhob sich wortlos auf Lippenhöhe, bevor Komplimente ausgetauscht wurden. Ich blickte ihr über die fettfreien Schulterblätter und verlor zwischen Rolexuhren und falschen Diamantarmbändern den Blickkontakt mit dem einzigen Hoffnungsschimmer bei dieser Pflichtübung. Mit ein paar entschuldigenden Worten ergriff ich die Flucht und atmete Freiheit in ihrer reinsten Form. Ich begegnete zwei betrunkenen, jungen Herren, die gerade versuchten Abfallsäcke in ein offenes Wagendach zu kippen. Sie lachten, fielen hin oder war es gerade umgekehrt? Ich lief nach Hause!

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